Das schwierige Thema Betriebsrat
Wenn Robin Hood zum Feind von Entwicklung wird
Was ich als externer Berater in Unternehmen immer wieder erlebe ist, dass der Betriebsrat – falls vorhanden – oftmals eine fast unüberwindliche Hürde bei der Einführung von Entwicklungsmaßnahmen darstellt. Ein Umstand, der mich schon so manches Mal an der wirklichen Absicht von Betriebsräten hat zweifeln lassen. Wir erstellen gemeinsam ein Entwicklungsprojekt, um Mitarbeiter und Führungskräfte zu unterstützen und zu fördern. Der Betriebsrat wird dabei mit einbezogen! Wir überzeugen die Geschäftsführung davon, dass es sinnvoll ist, Kapital in die Entwicklung der Mitarbeiter zu stecken. Die Mitarbeiter freuen sich größtenteils, dass endlich etwas für sie getan wird und dann kommt das große vernichtende NEIN des Betriebsrats. Warum ist das so? Soll der Betriebsrat nicht die Interessen der Mitarbeiter vertreten? Das heißt dann wohl, dass die Förderung und Entwicklung nicht im Interesse der Mitarbeiter ist?
Vielleicht hilft folgender Zusammenhang, um die gewöhnliche Interaktion zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsrat grundsätzlich besser zu verstehen.
Hierarchisch gesteuerte Systeme basieren auf einem unverantwortlichen Spiel, genannt Niederes Drama
Stephen Karpman, ein Schüler von Eric Berne, dem Erfinder der Transaktionsanalyse, hat irgendwann herausgefunden, dass die meisten zwischenmenschlichen Interaktionen ein Spiel zwischen 3 Haupt-Charakteren darstellt – zwischen Täter, Opfer und Retter. Schalten Sie den Fernseher ein und Sie werden es wiederfinden. Es wird in Wohnzimmern gespielt, genauso wie in Büroetagen, im Kabinett oder auch auf globaler Ebene. Es gibt immer den Bösen, den Schuft, der an allem Schuld ist – das arme Opfer, das nichts dafür kann und unter dem Bösewicht zu leiden hat – und natürlich den strahlenden Retter, der sich um das arme Opfer kümmert. Kommt Ihnen das bekannt vor? Im Possibility Management nennen wir dieses Spiel „Niederes Drama“ (Drama im Sinne von Theaterstück).
Wenn Sie sich dieses Drama-Dreieck genauer ansehen, werden Sie feststellen, dass es zwei Rollen gibt, die einen hohen Status besitzen und eine Rolle, die im Tiefstatus ist. Der Täter fühlt sich dem Opfer überlegen, weil er stärker ist („Ich bin stark – du bist schwach! Also mach ich mit dir, was ich will“). Aber auch der Retter fühlt sich dem Opfer überlegen, weil er stärker ist (Ich bin stark – du bist schwach! Also tue ich es für dich). Das Opfer fühlt sich hingegen klein und schwach – dem Täter ausgeliefert.
Das ist auch das Spiel, welches in hierarchisch geführten Unternehmen – also in den meisten Unternehmen – gespielt wird. Es ist kein Spiel auf Augenhöhe! Und jetzt raten Sie mal, wer der klassische Täter, das klassische Opfer und der klassische Retter in diesem Spiel ist. Ich sage bewusst klassisch, denn in diese Spiel kann jeder jederzeit jede Rolle einnehmen!
In hierarchischen Systemen ist diese Konstellation und dieses Spiel systemimmanent – also von der Struktur bereits vorgegeben. Der Arbeitgeber bzw. die Führungskraft hat immer einen höheren Status als der Mitarbeiter – ebenso der Betriebsrat. Selbst wenn einer der Spieler beschließt nicht mehr mitzuspielen, wird es unglaublich schwer, ein anderes, verantwortlicheres Spiel zu spielen, da der Kontext es nicht zulässt. Der hierarchische Kontext macht es überhaupt erst notwendig, dass es einen Retter (Betriebsrat) im Spiel braucht.
Warum ist dieses Spiel unverantwortlich? Einfach weil kein Spieler in diesem Spiel wirklich verantwortlich handelt und weil auch die Resultate unverantwortlich sind. In der Transaktionsanalyse werden unterschiedliche sogenannte EGO-Zustände beschrieben, aus denen heraus menschliche Interaktion geschieht. Es gibt den Kind-Egozustand, den Erwachsenen Ego-Zustand und den Eltern-Egozustand, welcher nochmals unterteilt wird in das kritische Eltern-Ich und das fürsorgliche Eltern-Ich.
Wenn Sie diese Egozustände auf das Dramadreieck anwenden, können Sie den 3 Rollen auch den entsprechenden Ego-Zustand zuordnen: der Täter handelt aus dem kritischen Eltern-Ich heraus, der Retter aus dem fürsorglichen Eltern-Ich und das Opfer aus dem Kind-Ich. Keiner der drei handelt aus dem Erwachsenen Ich-Zustand heraus! Nur im Erwachsenen Ich-Zustand können wir verantwortlich handeln und auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Aber das sieht der hierarchische Kontext einfach nicht vor.
Wenn der Betriebsrat zum Täter wird
Das Problem im Niederen Drama ist, dass dadurch keine Lösungen entstehen, sondern dass es immer nur zu weiteren Erwartungen, Beschuldigungen, Misstrauen und verhärteten Fronten führt. Es ist üblich im Niederen Drama, dass während der Interaktion die Rollen auch ständig wechseln, d.h. das Opfer oder auch der Retter werden zum Täter und der Täter wird zum Opfer und braucht einen anderen Retter. So zum Beispiel, wenn der Betriebsrat eine Entwicklungsmaßnahme verhindert, die eigentlich dazu gedacht ist, Mitarbeiter zu fördern. Aus der ursprünglichen Absicht, den Mitarbeitern eine Stimme auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber zu verleihen, wird ein verstecktes Machtspiel und dadurch entsteht am Ende Verzögerung und Stillstand, der allen schadet.
Immer wieder finden sich auch langjährige Mitarbeiter in den Reihen der Betriebsräte wieder, die eigentlich innerlich bereits gekündigt haben, aber ihre Stellung jetzt dafür benutzen, um sich für vergangenes Unrecht (in der Opfer-Rolle) zu rächen, indem sie so viel Sand ins Getriebe des Unternehmens gießen, wie nur möglich. Nicht selten sucht der Arbeitgeber – jetzt als Opfer – seinen Retter dann z.B. in externen Beratern oder Rechtsanwälten. Und so weiter.
Der Schlüssel: Die erwachsene, verantwortliche Organisation
Es geht mir nicht darum, den Betriebsrat anzuprangern, sondern darum, das Spiel aufzudecken, welches in hierarchischen Organisationen vorprogrammiert ist. Um hier etwas zu verändern, bringt es nichts, den Betriebsrat abzuschaffen, denn dann wird einfach ein anderer Retter in die Bresche springen, um das Spiel am Laufen zu halten. Es wird auch nicht funktionieren, indem Sie einfach die Hierarchie im Unternehmen abschaffen. Eine wirkliche Veränderung ist nur dann möglich, wenn die Organisation und damit alle ihre beteiligten Mitglieder Stück für Stück erwachsen werden und sich gemeinsam darauf einigen, ein anderes Spiel zu spielen, als Niederes Drama. Es ist kein Veränderungs-Prozess, sondern ein Transformations-Prozess, der auch eine Transformation des Kontexts beinhaltet. Diese Transformation beinhaltet zwei Ebenen:
- Transformation auf der persönlichen Ebene jedes Einzelnen, damit ein verantwortliches Spiel auf Augenhöhe überhaupt möglich wird.
- Transformation auf Organisations-Ebene, sodass der Kontext und die Strukturen ein verantwortliches Spiel auf Augenhöhe überhaupt zulassen.
Ansatz 1 betrifft die Personalentwicklung und Ansatz 2 die Organisationsentwicklung. Beides muss Hand in Hand geschehen, damit eine nachhaltige Veränderung zum Wohle aller entstehen kann. Tatsächlich geht es dabei nicht nur um Sie oder Ihr Unternehmen! Es ist viel größer. Es geht um die kulturelle Evolution bei der wir neue Organisationsformen und neue Arten der Zusammenarbeit erfinden.
Welches Spiel wollen Sie zukünftig spielen?