Es war einmal

ein wunderschöner, glatter, flacher Kieselstein. Er wohnte am Grund eines Baches. Der Stein war graubraun mit ein paar roten Sprenkeln. Tag ein Tag aus spürte er, wie das Wasser über ihn hinweg floss und seine Oberfläche umspülte, er sah die Sonne über dem Wasser auf- und untergehen, manchmal gab es Wolken am Himmel, die er verschwommen wahrnahm und hin und wieder plätscherte der Regen auf die Wasseroberfläche. Fische schwammen vorbei und grüßten ihn freundlich und er hatte sich für sein Alter schon ein beachtliches Algenkleid zugelegt.

So sah der Alltag des kleinen Kieselsteins aus und eines Tages wurde es dem Steinchen ein wenig langweilig. Er wollte etwas erleben. Nun sagte er zu den anderen Kieseln, die in seiner Nähe lagen: „Hallo Freunde! Ist Euch auch so langweilig wie mir? Ich würde zu gerne einmal etwas erleben. Vielleicht könnten wir uns ja mal an Land spülen lassen?“ Doch die anderen Steine waren zufrieden mit ihrem Leben und ihnen war überhaupt nicht nach Abwechslung. Einer sagte: „Ein entfernter Verwandter von mir wurde seinerzeit an Land gespült und wie man hört, wurde er von großen, zweibeinigen Ungetümen zertrampelt und in tausend Stücke zerbrochen. Es ist sehr gefährlich auf dem Land, musst Du wissen.“

Das machte dem kleinen Kieselstein große Angst. Und er beschloss, lieber dort zu bleiben, wo er war: in Sicherheit. Doch mit der Zeit wurde die Langeweile immer größer, bis sie eines Tages größer war als seine Angst. Da fing er an, sich leichter zu machen und sich mit aller Kraft vom Boden abzudrücken, damit das Wasser ihn mitnehmen konnte. Und tatsächlich: Tag für Tag kam er ein beträchtliches Stück voran. Bis er nach vielen vielen Tagen merkte, dass er nur noch zur Hälfte mit Wasser bedeckt war. Er sah das Ufer, er sah Bäume und Vögel und Gras und Blumen – ohne den Schleier des Wassers. „Eine wunderbare Welt!“ dachte er bei sich. „Warum habe ich nur so lange gezögert?“

Der kleine Kiesel genoss diese neuen Bilder und das Gefühl des Windes auf seiner glatten Oberfläche. Eines Tages jedoch mischten sich zu den Vogelstimmen und Windgeräuschen noch andere Stimmen hinzu, Stimmen, die er noch nie zuvor gehört hatte. Er sah große zweibeinige Wesen, die lachten und kreischten und wild herumliefen. Der kleine Stein wurde ganz nervös und starr vor Angst, denn er war sich sicher, in Kürze zertrampelt und in tausend Stücke zermalmt zu werden, wie der Verwandte seines Freundes. Die Wesen kamen immer näher und der kleine Kieselstein begann zu zittern und zu klappern vor Angst. Er war sich sicher, dass es gleich um ihn geschehen sein würde. Er kniff die Augen zusammen und ergab sich seinem Schicksal. Doch dann passierte etwas Unglaubliches. Eines der Wesen beugte sich zu ihm hinunter, hob ihn auf und begutachtete ihn von allen Seiten. Es schien Gefallen an ihm gefunden zu haben, weil er so schön glatt und flach war. Der kleine Kiesel litt Todesängste und betete zum Gott der Steine, dass er verschont bliebe. Doch ehe er sich’s versah, flog er wie ein Blitz durch die Luft und er spürte es an seiner Unterseite kitzeln, als er ein, zwei, drei, nein viermal auf der Wasseroberfläche aufsprang, bevor er ins Wasser eintauchte.

Tja, da war er wieder genau dort, wo er hergekommen war und erzählte seinen Freunden von seinem Abenteuer. Und ihr werdet es nicht glauben: Er fand es so schön, dass er schon am nächsten Tag wieder begann, sich leichter zu machen und sich mit aller Kraft vom Boden abzudrücken, damit das Wasser ihn mitnehmen konnte.

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