In Zeiten schnellen Wandels sind Musterlösungen
und Patentrezepte oft unbrauchbar
Beim letzten Wevent in München, einer Open Space Veranstaltung zum Thema „Zukunft der Arbeit“, gab es eine Session mit der Überschrift „Denkfehler New Work“. Die Diskussion rankte sich dabei um die Tatsache, dass wir oft sehr schnell bestimmte Schlüsse ziehen – die vielleicht gar nicht in einem direkten Zusammenhang mit angenommenen Bedingungen stehen. So z.B. wird im Moment gerne jedes ungewöhnliche Vorgehen eines Unternehmens mit dem Stempel „New Work“ versehen, in der Hoffnung, eine übertragbare Patentlösung für die Zukunft der
Arbeit daraus zu machen. Aber vielleicht liegt das ungewöhnliche Vorgehen in ganz anderen Ursachen begründet, die eher mit dem Produktionsprozess, der Firmenstruktur oder sonstigen Bedingungen zu tun haben. Das gerade gefundene Paradebeispiel wäre dann schon bei nächster Gelegenheit nicht mehr sinnvoll anwendbar.
Aber warum neigen wir überhaupt dazu, nach Kausalität zu suchen – nach Mustern und Gesetzmäßigkeiten? Warum lieben wir unsere „Wenn–Dann“s so heiß und innig, dass wir uns ungern von ihnen trennen?
Ganz einfach: Kausalität und Linearität haben etwas Beruhigendes und erleichtern uns das
Leben. Aus A folgt B. Wie schön – keine weiteren gedanklichen Anstrengungen notwendig! Problem gelöst und zurück in die heimelige Komfort-Zone unserer Gewohnheits-Box! Es fühlt sich einfach gut an, wenn wir glauben die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung gefunden zu haben. Die Angst, die mit dem Nicht-Wissen verbunden ist, wird dadurch gemildert. Wir müssen sie nicht mehr fühlen. Selbst wenn es sich um eine schwere Krankheit handelt, fühlen wir uns meist etwas besser, wenn wir ihren Namen kennen. Denn dann ist der Feind benannt und wir können mit den üblichen Mitteln dagegen vorgehen. Ob die Zusammenhänge in diesem Fall anders sein könnten, darüber machen wir uns erst Gedanken, wenn die übliche Heilmethode keine Wirkung zeigt.
Ein Beispiel:
1 + 1 = 2
„Richtig!“, sagt ein Teil von Ihnen wahrscheinlich gerade. Klar, was sonst? Das fühlt sich gut an und sicher. Das kann in jedem Lehrbuch nachgelesen werden und ist mathematisch unangreifbar. Allerdings ist die Rechnung dann auch zu Ende, d.h. wir denken nicht mehr darüber nach oder stellen das Ergebnis nicht in Frage. Das hat seine Vorteile, aber auch seine Nachteile.
Wie sieht es hiermit aus:
1 + 1 = 1
Oder hiermit:
1 + 1 = 3
1 + 1 = ∞
Wie fühlen sich diese Gleichungen für Sie an? Können Sie den Teil in sich spüren, der sich
vehement dagegen wehrt und für den sich diese Gleichungen seltsam anfühlen? So ein Quatsch – muss wohl ein Schreibfehler sein! Weil sie vom Normalen und Bekannten abweichen, sind diese Möglichkeiten unbequem. Sie kitzeln und provozieren unseren logischen
Verstand. Unweigerlich fängt ein kleiner Teil in unserem Gehirn an, darüber nachzudenken, was das bedeuten könnte. Und genau genommen sind diese Gleichungen genauso zutreffend, wie die uns allen bekannte. Es kommt einfach auf den Kontext an!
Was will ich damit sagen? Kausalität und Linearität sind wunderbar – solange wir sie bewusst einsetzen. Doch schnell kann sich unsere Neigung kausal und linear zu denken, zu einer unbewussten Vermeidungsstrategie entwickeln, um nicht mit der Angst des Nicht-Wissens konfrontiert zu werden. Natürlich ist es ein Vorteil, wenn wir nicht immer alle auf uns einströmenden Informationen verarbeiten müssen, sondern selektieren und clustern, um Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die uns helfen in ähnlichen Situationen schneller zu reagieren. Ja, das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden – die Frage ist nur, was haben wir durch diese Vorgehensweise wohl alles verpasst, zu erfinden? Irgendwann wird diese Art des Denkens dann zur Gewohnheit – wir können gar nicht mehr anders. Und in Zeiten wie diesen, in Zeiten schnellen Wandels und tiefgreifender Veränderungen kann uns genau das zum Verhängnis werden. Nämlich dann, wenn wir gar nicht mehr in der Lage sind, nicht-linear zu denken und zu handeln.
Neben der genannten Vorteile, hat kausales, lineares Denken und Vorgehen entscheidende Nachteile:
- Es schließt Individualität und damit die Realität aus
- Es fördert vor allem naheliegende Lösungen
- Es vereinfacht oft zu stark, was bei steigender Komplexität zu einem Rückgang des Wirkungsgrades führen kann
- Es setzt zu viele Prämissen und Bedingungen als gegeben voraus
- Es wiegt in vermeintlicher Sicherheit, da wir der Regel folgen: „Wenn es logisch ist, ist es richtig“
- Es schließt die Möglichkeit der Möglichkeit aus, nämlich dass es unendlich viele andere Möglichkeiten gibt
- Es hemmt echte Innovation und Evolution
- Es ist langweilig, vorhersehbar und macht keinen Spaß
- u.v.m.
Das Problem ist, dass wir die aktuellen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen mit diesem uns so gewohnten linearen und kausalen Vorgehen voraussichtlich nicht lösen können. Wir befinden uns in einer Zeit der tiefgehenden Transformation. Alte, für richtig befundene
Gesetzmäßigkeiten verlieren ihre Gültigkeit. Wir werden unweigerlich gezwungen, Neuland zu betreten und die Welt neu zu erfinden. Transformation und Innovation sind unbequem, da Angst ihr natürlicher Begleiter ist. Und so lange wir „unbequem“ und „Angst“ gleichsetzen mit
„anstrengend“, „gefährlich“ oder „unattraktiv“, werden wir versuchen, uns so schnell wie möglich wieder auf die rettende Insel einer Musterlösung oder eines Patentrezepts zu flüchten.
Um die aktuellen Herausforderungen zu meistern und die Zukunft der Arbeit neu zu erfinden, sind also andere und ungewöhnliche Skills erforderlich, als das übliche kausale Denken, das wir jahrelang durch Schule, Universität und Ausbildung verinnerlicht haben, nämlich u.a.:
- Die Fähigkeit, am Rande der eigenen Komfort-Zone und darüber hinaus zu agieren
- Die Fähigkeit, Angst zu tolerieren und als Raketentreibstoff für Innovation zu benutzen
- Die Fähigkeit, nicht-linear zu denken und zu handeln
- Die Fähigkeit, bisher gültige Gesetzmäßigkeiten und Regeln zu brechen bzw. außer Kraft zu setzen
- Die Fähigkeit, im Nicht-Wissen zu stehen und aus dem Nichts etwas neues entstehen zu lassen
- Die Fähigkeit, leidenschaftlich zu experimentieren und Fehler zu machen, um daraus schnell zu lernen
Das lernen wir nicht in der Schule oder in konventionellen Ausbildungs-Programmen. Dazu müssten wir unsere jahrelange Konditionierung auf Logik und Folgerichtigkeit zunächst einmal wieder verlernen bzw. uns bewusst machen, dass sie flächendeckend vorhanden ist.
Wenn Sie Ihr Unternehmen also zur Zukunftsfähigkeit transformieren möchten, wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als einen höchst individuellen Transformationsprozess zu durchlaufen und durch leidenschaftliche Experimente die individuelle Art von „New Work“ zu erfinden, die zu Ihrer Organisation passt – mit allem was dazugehört. Es könnte hilfreich sein, sich dabei stets bewusst zu machen, dass dieser Übergang unbequem sein wird und dass Unbequemlichkeit auch Spaß machen und auf einer anderen Ebene nährend sein kann – wie eine Nacht am Lagerfeuer im Schlafsack.
Sie können natürlich auch versuchen, das zu kopieren, was andere bereits erfolgreich ausprobiert haben – Unternehmen wie Semco, GoreTex, Upstalboom, usw. Seien Sie sich aber immer bewusst, dass es sich dabei nicht um Patenrezepte oder Musterlösungen handelt, sondern lediglich um gelungene Experimente. Es hätte wahrscheinlich genauso gut in die Hose gehen können. Nur hätten wir dann wahrscheinlich nie davon gehört. Und selbst wenn es bei Semco funktioniert, heißt das noch nicht, dass es bei Ihnen funktionieren wird. Denn für die Erfindung einer nachhaltigen Zukunft auf diesem Planeten und der Zukunft der Arbeit gibt es (noch) keine Patentlösungen! Das, was wir aus diesen Beispielen aber allemal lernen können ist, dass etwas anderes wirklich möglich ist.
Viel Spaß beim Experimentieren und Erfinden!