Agile braucht Soft-Skills

Agile braucht Soft-Skills

Ohne die entsprechenden Fertigkeiten sind agile Methoden
nur schwer anwendbar

Agile ist das neue „Zauberwort“ in Managementkreisen und entwickelt sich im Moment zu einem regelrechten Hype. Eine Vorgehensweise, die zunächst auf die effiziente Entwicklung von Software ausgerichtet war, erobert gerade die Chefetagen und Organisationsstrukturen kleinerer und größerer Firmen. Es entsteht ein neuer Zweig für Berater und Trainer: Agile Coaches unterstützen Unternehmen dabei, ihren Weg zu mehr Agility im Projektmanagement zu beschreiten.

Aber was ist Agile und lässt sich mehr Agility einfach so verordnen?

Wie gesagt stammen der Begriff „Agile“ und agile Methoden aus der Softwareentwicklung, die dadurch schneller, unkomplizierter und schlanker gestaltet werden sollte. Und da dies ganz gut funktionierte, wurden die entsprechenden agilen Prinzipien irgendwann in das allgemeine Projektmanagement übertragen und sollen dort zur Anwendung gebracht werden. Dabei basiert Agile auf bestimmten Werten und Prinzipien.

Einige der wichtigsten agilen Prinzipien sind folgende (Quelle: Wikipedia):

  • Agile Prozesse nutzen Veränderungen (selbst spät in der Entwicklung) zum Wettbewerbsvorteil des Kunden.
  • Bereitstellung des Umfeldes und der Unterstützung, welche von motivierten Individuen für die Aufgabenerfüllung benötigt wird
  • Informationsübertragung nach Möglichkeit im Gespräch von Angesicht zu Angesicht
  • Einfachheit ist essenziell
  • Selbstorganisation der Teams bei Planung und Umsetzung
  • Selbstreflexion der Teams über das eigene Verhalten zur Anpassung im Hinblick auf Effizienzsteigerung

Soweit so gut. Insoweit könnten agile Methoden tatsächlich eine nützliche Herangehensweise an komplexe, durch ständige äußere Veränderung beeinflusste Sachverhalte im Unternehmenskontext sein.

Das Problem ist allerdings, dass Agile ein völlig neues Spiel darstellt. Mit Spiel ist dabei eine bestimmte Art der Interaktion zwischen den Spielern (= alle am Spiel Beteiligten) unter Anwendung bestimmter Regeln und Prinzipien gemeint. Und es ist eine Sache, die entsprechenden Spielregeln und Prinzipien zu kennen und eine andere Sache, nach den neuen Spielregeln zu spielen. Letzteres benötigt in der Regel einen Lernprozess, einen Umgewöhnungsprozess, der oftmals bei der Umstellung von herkömmlichen zu agilen Methoden übersehen wird. Es wird oft davon ausgegangen, dass es reicht, die Spielregeln zu erklären. Dabei braucht es eine völlig neue Art des Denkens und Handelns.

Neue Denk- und Verhaltensweisen müssen erlernt werden

Wenn Sie sich einige der o.g. Prinzipien mal genauer ansehen und in die Tiefe gehen, wird klar, wo die Problematik liegt.

Agile-Prinzip:
Agile Prozesse nutzen Veränderungen (selbst spät in der Entwicklung) zum Wettbewerbsvorteil des Kunden

Veränderungen stellen schon für Individuen oftmals ein Problem dar — -ganz zu schweigen von Teams und Organisationen. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“ heißt das Sprichwort. Menschen tun sich in der Regel schwer, aus ihrer Komfortzone herauszutreten und Veränderungen willkommen zu heißen. Die Angst vor der Ungewissheit ist groß und schließlich könnte im Endeffekt ihr Job, ihre Position oder ihr Gesicht auf dem Spiel stehen. Schlecht durchgeführte und gescheiterte Change-Prozesse in Unternehmen gibt es zuhauf, welche die Veränderungswilligkeit von Mitarbeitern noch zusätzlich strapazieren.

Mindestens zwei bestimme Soft-Skills sind notwendig, um Veränderungen wirklich willkommen heißen zu können. Erstens eine neue Haltung, ein anderes Bewusstsein in Bezug auf Veränderung. Durch frühe Konditionierung haben die meisten Menschen „Veränderung“ mit „gefährlich“ oder „unbequem“ verkabelt. Hier braucht es eine Neuprogrammierung. Und diese Neuprogrammierung funktioniert nicht über den Intellekt, also nicht durch bloßes Verstehen. Es braucht neue Erfahrungen, um dieses neue Bewusstsein wirklich zu verankern und aus der automatisierten Reaktion auf Veränderung aussteigen zu können.

Die zweite Fähigkeit, die benötigt wird, um Veränderungen willkommen heißen und nutzen zu können, besteht in einem bewussten Umgang mit dem Gefühl Angst. Veränderungen sind immer mit Angst verbunden und das ist gut so. Angst ist notwendig, um wach und vorsichtig Neuland betreten zu können. Da Angst bzw. Gefühle an sich in unserer Arbeitswelt aber immer noch als unprofessionell gelten und es nicht okay ist, Gefühle zu haben, haben die meisten Menschen keinen Zugang zu ihrer Angst. Angst darf nicht sein und muss partout vermieden werden. Aber solange Angst nicht okay ist, sind Veränderungen auch nicht okay, denn sie bedeuten immer eine Gefahr. Hier braucht es also einerseits eine neue Haltung in Bezug auf Gefühle an sich und in Bezug auf das Gefühl „Angst“. Nämlich dass Angst nicht negativ ist, sondern neutral und nützlich, um mit Veränderungen klar zu kommen. Und mit dieser neuen Haltung gilt es dann zu lernen, Angst wieder zu fühlen und bewusst zu nutzen, um neue Wege zu finden.

Wenn Sie also im Rahmen der Umstellung auf agile Methoden Ihren Mitarbeitern sagen, dass ab jetzt Veränderungen im Prozess als Wettbewerbsvorteil genutzt werden sollen, dann ist das ein gut gemeinter Ratschlag, der aber in den meisten Fällen nicht so einfach umzusetzen ist. Nämlich dann, wenn die beschriebenen Soft-Skills dazu noch fehlen.

Selbstorganisation und Selbstverantwortung entstehen nicht von alleine

Agile-Prinzipien:
Bereitstellung des Umfeldes und der Unterstützung, welche von motivierten Individuen für die Aufgabenerfüllung benötigt wird / Selbstorganisation der Teams bei der Planung und Umsetzung

Sie können es sich sicher denken, auch Selbstorganisation lässt sich nur schwer verordnen, insbesondere wenn Teams jahrelang Dienst nach Vorschrift gemacht haben bzw. das Projektmanagement unter der Leitung eines Projektmanagers lief. Damit das Projekt nicht im Chaos endet oder im Sand verläuft, braucht es in selbst organisierten Teams viel Kommunikation und Absprachen. Auch hierzu benötigen die Mitspieler bestimmte Soft-Skills.

Es braucht zum Beispiel jemanden, der auf der Meta-Ebene Raum hält für das Projekt. Raum halten ist in diesem Fall nicht gleichzusetzen mit dem klassischen „Führen“ oder dem Projektmanagement. Raum halten bedeutet, dass eine Person oder eine Gruppe von Personen einen Teil ihrer Aufmerksamkeit dazu nutzt, ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Beteiligten gestärkt, genährt, zentriert und inspiriert zusammenwirken können. Dass Probleme schnell auf den Tisch kommen und Lösungen gefunden werden. Dass interne Reibereien und kommunikative Missverständnisse aufgelöst werden, usw. Und, haben Sie in der Schule oder an der Uni Raumhalten gelernt? Höchst wahrscheinlich nicht.

Allein um die Kommunikation in selbstorganisierten Teams aufrecht zu erhalten und nicht in Missverständnissen, Streit, Groll oder Drama zu enden, sind entsprechende Kommunikations-Tools notwendig, welche die Selbstorganisation und die Eigenverantwortlichkeit im Team fördern. Es braucht eine bewusste, offene und verantwortliche Kommunikation zwischen den Beteiligten und Werkzeuge für den Konfliktfall.

Auch das Thema der Eigenverantwortlichkeit an sich ist nicht trivial. Denn auch in Bezug auf Verantwortung herrscht manchmal eine Konditionierung, die nicht nützlich ist und dazu führt, dass Menschen keine Verantwortung übernehmen wollen. Solange Verantwortung (unbewusst) gleichgesetzt wird mit „eine Last“, „schwer“, „die Schuld haben, wenn etwas schief geht“, etc. wird Selbstverantwortung nur solange okay sein, bis es ein Problem gibt. Wir leben in einer Kultur, in der wir gewohnt sind, nur einen gewissen Grad an Verantwortung zu übernehmen und den Rest auf eine höhere Instanz zu verlagern (Vater Staat, das Unternehmen, für das ich arbeite, der Vorgesetzte, …). Radikale Selbstverantwortung ist eine Perspektive bzw. eine Fähigkeit, welche auch erst durch neue Erfahrung erlernt werden muss.

Die Voraussetzung für Selbstreflexion ist eine positive Feedback-Kultur

Agile-Prinzip:
Selbstreflexion der Teams über das eigene Verhalten zur Anpassung im Hinblick auf Effizienzsteigerung

Ehrliche Selbstreflexion ist schon für Individuen eine Herausforderung und benötigt viel Klarheit und Bewusstheit. Selbstreflexion in Teams ist dann noch etwas schwerer, da der Aspekt der Kommunikation im Sinne von gegenseitigem Feedback hinzukommt. Damit dies reibungslos funktionieren kann, ist eine positive Feedback- und Fehlerkultur die Voraussetzung. Doch ganz ehrlich: wo herrscht eine solche Kultur, außer in der Wunschvorstellung schön geschriebener Mission-Statements? Nach 9 bis 13 Jahren Schul-Karriere ist das mit der Fehler-Kultur so eine Sache. Der normale Westeuropäer ist jahrelang darauf konditioniert worden, dass es schlecht ist, Fehler zu machen und dass es im schlimmsten Falle zu Ausgrenzung und Bestrafung führt. Daher wird auch Feedback nicht unbedingt als erstrebenswert angesehen, sondern häufig gleichgesetzt mit Kritik oder Angriff. Feedback wird dann vielleicht noch vom Vorgesetzten akzeptiert, aber von Gleichgestellten?

Diese Haltung erschwert die Umsetzung dieses agilen Prinzips enorm und birgt die Gefahr, dass offenes Feedback und Selbstreflexion zu Groll und Konflikten im Team führen. Auch hier muss die entsprechende Fähigkeit zunächst in einem sicheren Umfeld entwickelt werden. Eine neue Kultur entwickelt sich nicht einfach durch die Entscheidung, ein bestimmtes Prinzip ab heute anzuwenden.

Agile ist mehr als eine Methode

Dies sind nur drei Beispiele, warum es zur Anwendung agiler Methoden mehr braucht, als einen Workshop über agile Methoden. Solange der Boden nicht bereitet ist und nicht alle Beteiligten befähigt werden, durch das Erlernen entsprechender Soft-Skills die agilen Prinzipien anzuwenden, wird der Samen von Agile nicht aufgehen können. Wie jede neue Vorgehensweise, kann auch Agile nur in einem neuen, passenden Kontext gedeihen. Wenn Sie also Agile für Ihr Unternehmen entdeckt haben, sollten Sie auch in Betracht ziehen, allen Beteiligten die entsprechenden Soft-Skills zur Verfügung zu stellen.

Führt die Sucht nach Kausalität in die Sackgasse?

Führt die Sucht nach Kausalität in die Sackgasse?

In Zeiten schnellen Wandels sind Musterlösungen
und Patentrezepte oft unbrauchbar

Beim letzten Wevent in München, einer Open Space Veranstaltung zum Thema „Zukunft der Arbeit“, gab es eine Session mit der Überschrift „Denkfehler New Work“. Die Diskussion rankte sich dabei um die Tatsache, dass wir oft sehr schnell bestimmte Schlüsse ziehen – die vielleicht gar nicht in einem direkten Zusammenhang mit angenommenen Bedingungen stehen. So z.B. wird im Moment gerne jedes ungewöhnliche Vorgehen eines Unternehmens mit dem Stempel „New Work“ versehen, in der Hoffnung, eine übertragbare Patentlösung für die Zukunft der
Arbeit daraus zu machen. Aber vielleicht liegt das ungewöhnliche Vorgehen in ganz anderen Ursachen begründet, die eher mit dem Produktionsprozess, der Firmenstruktur oder sonstigen Bedingungen zu tun haben. Das gerade gefundene Paradebeispiel wäre dann schon bei nächster Gelegenheit nicht mehr sinnvoll anwendbar.

Aber warum neigen wir überhaupt dazu, nach Kausalität zu suchen – nach Mustern und Gesetzmäßigkeiten? Warum lieben wir unsere „Wenn–Dann“s so heiß und innig, dass wir uns ungern von ihnen trennen?

Ganz einfach: Kausalität und Linearität haben etwas Beruhigendes und erleichtern uns das
Leben. Aus A folgt B. Wie schön – keine weiteren gedanklichen Anstrengungen notwendig! Problem gelöst und zurück in die heimelige Komfort-Zone unserer Gewohnheits-Box! Es fühlt sich einfach gut an, wenn wir glauben die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung gefunden zu haben. Die Angst, die mit dem Nicht-Wissen verbunden ist, wird dadurch gemildert. Wir müssen sie nicht mehr fühlen. Selbst wenn es sich um eine schwere Krankheit handelt, fühlen wir uns meist etwas besser, wenn wir ihren Namen kennen. Denn dann ist der Feind benannt und wir können mit den üblichen Mitteln dagegen vorgehen. Ob die Zusammenhänge in diesem Fall anders sein könnten, darüber machen wir uns erst Gedanken, wenn die übliche Heilmethode keine Wirkung zeigt.

Ein Beispiel:

1 + 1 = 2

„Richtig!“, sagt ein Teil von Ihnen wahrscheinlich gerade. Klar, was sonst? Das fühlt sich gut an und sicher. Das kann in jedem Lehrbuch nachgelesen werden und ist mathematisch unangreifbar. Allerdings ist die Rechnung dann auch zu Ende, d.h. wir denken nicht mehr darüber nach oder stellen das Ergebnis nicht in Frage. Das hat seine Vorteile, aber auch seine Nachteile.

Wie sieht es hiermit aus:

1 + 1 = 1

Oder hiermit:

1 + 1 = 3

1 + 1 = ∞

Wie fühlen sich diese Gleichungen für Sie an? Können Sie den Teil in sich spüren, der sich
vehement dagegen wehrt und für den sich diese Gleichungen seltsam anfühlen? So ein Quatsch – muss wohl ein Schreibfehler sein! Weil sie vom Normalen und Bekannten abweichen, sind diese Möglichkeiten unbequem. Sie kitzeln und provozieren unseren logischen
Verstand. Unweigerlich fängt ein kleiner Teil in unserem Gehirn an, darüber nachzudenken, was das bedeuten könnte. Und genau genommen sind diese Gleichungen genauso zutreffend, wie die uns allen bekannte. Es kommt einfach auf den Kontext an!

Was will ich damit sagen? Kausalität und Linearität sind wunderbar – solange wir sie bewusst einsetzen. Doch schnell kann sich unsere Neigung kausal und linear zu denken, zu einer unbewussten Vermeidungsstrategie entwickeln, um nicht mit der Angst des Nicht-Wissens konfrontiert zu werden. Natürlich ist es ein Vorteil, wenn wir nicht immer alle auf uns einströmenden Informationen verarbeiten müssen, sondern selektieren und clustern, um Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die uns helfen in ähnlichen Situationen schneller zu reagieren. Ja, das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden – die Frage ist nur, was haben wir durch diese Vorgehensweise wohl alles verpasst, zu erfinden? Irgendwann wird diese Art des Denkens dann zur Gewohnheit – wir können gar nicht mehr anders. Und in Zeiten wie diesen, in Zeiten schnellen Wandels und tiefgreifender Veränderungen kann uns genau das zum Verhängnis werden. Nämlich dann, wenn wir gar nicht mehr in der Lage sind, nicht-linear zu denken und zu handeln.

Neben der genannten Vorteile, hat kausales, lineares Denken und Vorgehen entscheidende Nachteile:

  • Es schließt Individualität und damit die Realität aus
  • Es fördert vor allem naheliegende Lösungen
  • Es vereinfacht oft zu stark, was bei steigender Komplexität zu einem Rückgang des Wirkungsgrades führen kann
  • Es setzt zu viele Prämissen und Bedingungen als gegeben voraus
  • Es wiegt in vermeintlicher Sicherheit, da wir der Regel folgen: „Wenn es logisch ist, ist es richtig“
  • Es schließt die Möglichkeit der Möglichkeit aus, nämlich dass es unendlich viele andere Möglichkeiten gibt
  • Es hemmt echte Innovation und Evolution
  • Es ist langweilig, vorhersehbar und macht keinen Spaß
  • u.v.m.

Das Problem ist, dass wir die aktuellen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen mit diesem uns so gewohnten linearen und kausalen Vorgehen voraussichtlich nicht lösen können. Wir befinden uns in einer Zeit der tiefgehenden Transformation. Alte, für richtig befundene
Gesetzmäßigkeiten verlieren ihre Gültigkeit. Wir werden unweigerlich gezwungen, Neuland zu betreten und die Welt neu zu erfinden. Transformation und Innovation sind unbequem, da Angst ihr natürlicher Begleiter ist. Und so lange wir „unbequem“ und „Angst“ gleichsetzen mit
„anstrengend“, „gefährlich“ oder „unattraktiv“, werden wir versuchen, uns so schnell wie möglich wieder auf die rettende Insel einer Musterlösung oder eines Patentrezepts zu flüchten.

Um die aktuellen Herausforderungen zu meistern und die Zukunft der Arbeit neu zu erfinden, sind also andere und ungewöhnliche Skills erforderlich, als das übliche kausale Denken, das wir jahrelang durch Schule, Universität und Ausbildung verinnerlicht haben, nämlich u.a.:

  • Die Fähigkeit, am Rande der eigenen Komfort-Zone und darüber hinaus zu agieren
  • Die Fähigkeit, Angst zu tolerieren und als Raketentreibstoff für Innovation zu benutzen
  • Die Fähigkeit, nicht-linear zu denken und zu handeln
  • Die Fähigkeit, bisher gültige Gesetzmäßigkeiten und Regeln zu brechen bzw. außer Kraft zu setzen
  • Die Fähigkeit, im Nicht-Wissen zu stehen und aus dem Nichts etwas neues entstehen zu lassen
  • Die Fähigkeit, leidenschaftlich zu experimentieren und Fehler zu machen, um daraus schnell zu lernen

Das lernen wir nicht in der Schule oder in konventionellen Ausbildungs-Programmen. Dazu müssten wir unsere jahrelange Konditionierung auf Logik und Folgerichtigkeit zunächst einmal wieder verlernen bzw. uns bewusst machen, dass sie flächendeckend vorhanden ist.

Wenn Sie Ihr Unternehmen also zur Zukunftsfähigkeit transformieren möchten, wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als einen höchst individuellen Transformationsprozess zu durchlaufen und durch leidenschaftliche Experimente die individuelle Art von „New Work“ zu erfinden, die zu Ihrer Organisation passt – mit allem was dazugehört. Es könnte hilfreich sein, sich dabei stets bewusst zu machen, dass dieser Übergang unbequem sein wird und dass Unbequemlichkeit auch Spaß machen und auf einer anderen Ebene nährend sein kann – wie eine Nacht am Lagerfeuer im Schlafsack.

Sie können natürlich auch versuchen, das zu kopieren, was andere bereits erfolgreich ausprobiert haben – Unternehmen wie Semco, GoreTex, Upstalboom, usw. Seien Sie sich aber immer bewusst, dass es sich dabei nicht um Patenrezepte oder Musterlösungen handelt, sondern lediglich um gelungene Experimente. Es hätte wahrscheinlich genauso gut in die Hose gehen können. Nur hätten wir dann wahrscheinlich nie davon gehört. Und selbst wenn es bei Semco funktioniert, heißt das noch nicht, dass es bei Ihnen funktionieren wird. Denn für die Erfindung einer nachhaltigen Zukunft auf diesem Planeten und der Zukunft der Arbeit gibt es (noch) keine Patentlösungen! Das, was wir aus diesen Beispielen aber allemal lernen können ist, dass etwas anderes wirklich möglich ist.

Viel Spaß beim Experimentieren und Erfinden!

Kontrolle ist gut – Vertrauen ist besser

Kontrolle ist gut – Vertrauen ist besser

In Zeiten schnellen Wandels kann Hierarchie und Controlling
zur Todesfalle für Unternehmen werden

Es ist eine interessante Zeit, in der wir uns gerade befinden. Das Umfeld, in das wir kulturell eingebettet sind, verändert sich mit wachsender Geschwindigkeit, während gleichzeitig die Komplexität des Geschehens zunimmt. Bedingungen also, mit denen jeder Einzelne aber auch Organisationen bisher nicht in diesem Maße konfrontiert waren. Wir stehen an einem Übergang von einem kulturellen Kontext zum nächsten. Der kulturelle Kontext aus dem wir uns gerade herausentwickeln ist das Patriarchat oder auch die „Herrschafts-Kultur“, wie Dr. Robert Gilman das auslaufende Zeitalter in seinem Vortrag „What time is it?“ nennt. Die Zeit eines solchen Übergangs ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass einerseits immer klarer wird, dass herkömmliche Denk- und Verhaltensweisen nicht mehr funktionieren, während gleichzeitig aber auch noch nicht absehbar ist, wie neue, besser funktionierende Möglichkeiten und Vorgehensweisen aussehen könnten.

Beschreibung: Bild1

(Quelle: What time is it?, Dr. Robert Gilman, www.context.org)

Typische Reaktionen in dieser Zeit des Übergangs sind Unsicherheit und Angst sowie Festhalten an Altbewährtem bis hin zur Verstärkung bisheriger Vorgehensweisen, in der Hoffnung dass dadurch der Wandel und der damit verbundene Schritt ins Unbekannte abgewendet werden kann. Die im Patriarchat traditionellen Vorgehensweisen in Organisationen sind: Hierarchie, Kontrolle und Produktivitätssteigerung. Deshalb reagieren viele Unternehmen derzeit auf den schnellen Wandel im Umfeld genau damit: mehr vom Altbekannten. Mehr Hierarchie, mehr Kontrolle, mehr Produktivitätssteigerung durch Kostensenkung, verbunden mit der Hoffnung, dass dadurch irgendwann wieder die früheren Erfolge zurückkehren. Dies könnte aber eine Strategie sein, die genau den gegenteiligen Effekt hat und die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen enorm einschränkt oder sogar verhindert.

Controlling – wenn das Heilmittel krank macht

Zunächst habe ich eine Frage an Sie: würden Sie ein Durchfallmittel nehmen, wenn Sie an Verstopfung leiden? Ich nehme mal an, die Frage erübrigt sich, es sei denn, Sie wollen Ihre Beschwerden verstärken. Dennoch versuchen viele Unternehmen den derzeitigen Herausforderungen mit einem kontraindizierten Heilmittel zu begegnen, nämlich durch Verstärkung des Controllings. Controlling hat im Allgemeinen den Sinn, die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens zu sichern, was sicherlich seine Berechtigung hat. Als Reaktion auf ein sich immer schneller veränderndes Umfeld, d.h. um im übertragenen Sinne die Kontrolle über das sich ausbreitende Chaos der Veränderung zu behalten, ist es aber nicht gerade die beste Maßnahme, da es einige schwerwiegende Nebenwirkungen mit sich bringt.

Ein Unternehmen ist ein in ein Umfeld eingebettetes System, vergleichbar mit einem Organismus oder einer Spezies. Um im Sinne der Evolutionstheorie zukunftsfähig zu bleiben, muss dieser Organismus die Fähigkeit besitzen, sich an die Veränderung seines Umfeldes bestmöglich anzupassen, da ansonsten die Gefahr für den Organismus oder die Spezies besteht, auszusterben. Darwin nannte dieses Phänomen „Survival Of The Fittest“ – was in der Vergangenheit übrigens sehr häufig falsch interpretiert wurde mit dem „Überleben des Stärkeren“. Die korrekte Interpretation liegt aber darin, dass nicht der Stärkere, sondern der Anpassungsfähigere überlebt. Sonst gäbe es die Dinosaurier vielleicht heute noch.

Wie bereits erwähnt, heißen die derzeitigen evolutionären Herausforderungen: schneller Wandel und steigende Komplexität. Um zukunftsfähig zu sein, müsste sich der Organismus „Unternehmen“ also in der Weise entwickeln, dass z.B. Entscheidungen schneller getroffen werden können und Vorgehensweisen präferiert werden, die der steigenden Komplexität Rechnung tragen. Ein stärkeres Controlling bewirkt allerdings genau das Gegenteil. Entscheidungswege werden länger und länger. Es werden Entscheidungsvorlagen über Entscheidungsvorlagen erstellt, die gelesen und geprüft werden müssen. In manchen Unternehmen ist es normal, dass Mitarbeiter am Freitagabend mit zwei Aktentaschen voller solcher Vorlagen in das Wochenende gehen. Die Entscheidung wird von einem Gremium zum nächsten weitergereicht, in der Hoffnung, das mit der Entscheidung verbundene Risiko so zu minimieren. Was stattdessen passiert ist: das Unternehmen wird langsam, während das Umfeld schneller wird.

Bürokratie und das Entstehen sogenannter „Bullshit-Jobs“

Weiterhin führt diese Art der Reaktion auf die Veränderungen dazu, dass die immer komplexer werdenden Projekte und Prozesse dokumentiert werden müssen, so dass die reine Dokumentation irgendwann überhandnimmt. Manager und Mitarbeiter ersticken in Bürokratie und Kontrollwahn und es entsteht ein immer größerer Druck. Die Komplexität gepaart mit der Kontrolle macht es irgendwann unmöglich, dass die Mitarbeiter noch in der vorgegebenen Zeit oder mit dem verfügbaren Budget auskommen können. Oftmals werden als Reaktion darauf neue Jobs und Stellen geschaffen, um der aufgeblähten Bürokratie Herr zu werden, sogenannte „Bullshit-Jobs“. Dies hat dann wiederum zu Folge, dass nicht mal mehr der ursprüngliche Zweck des Controllings – nämlich die Wirtschaftlichkeit – gewahrt bleibt.

Der steigende Druck, die Sinnentfremdung der Arbeit, die zeitliche Restriktion, etc. führen zu einem weiteren gerade aktuellen Phänomen, nämlich der Überforderung aller Beteiligten und zu entsprechend steigenden Burnout- und Krankheitsraten. Statt Zukunftsfähigkeit entsteht eine Negativspirale in den sicheren Untergang der Organisation.

Ein Paradigmenwechsel ist unumgänglich

Was wäre stattdessen notwendig? Wenn das Alte nicht mehr funktioniert, ist die Zeit reif für radikales Umdenken – und Angst ist dabei ein natürlicher Begleiter. Die Schnelligkeit und Komplexität erfordern Innovation, Experimentierfreude, Kreativität, Schnelles Lernen, kurze Entscheidungswege, Selbständigkeit und Verantwortungsübernahme usw. – und zwar nicht beschränkt auf die Führungs-Etage, sondern auf allen Ebenen. Diese Faktoren waren in den altbekannten hierarchischen Strukturen, aber nicht in diesem Ausmaß notwendig. Die Mitarbeiter sind daher im gegenwärtigen System oft nicht gewohnt, selbstständig zu denken, innovativ zu sein, Risiken einzugehen, Entscheidungen zu treffen und selbst Verantwortung zu übernehmen. Genauso wenig, wie auch die Führungskräfte es nicht gewohnt sind, all dies vollständig zuzulassen. Hierarchie unterliegt einem überholten Paradigma, welches lautet, dass „unterstellte“ Mitarbeiter von „überstellten“ Führungskräften geführt, gemanagt und kontrolliert werden müssen, damit alles funktioniert. „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser!“ lautete die Maxime.

Hierarchische Führung ist ausgerichtet auf die wenigen „faulen Eier“

In den meisten Unternehmen herrscht kein Vertrauen darauf, dass Mitarbeiter selbstorganisiert und verantwortlich agieren würden, wenn sie keiner hierarchischen Führung unterliegen. Wenn wir nach Gauß von einer Normalverteilung ausgehen und diese auf ein Team oder die Belegschaft eines Unternehmens in Bezug auf die Bereitschaft, verantwortlich mitzuarbeiten, anwenden, ergäbe sich die bekannte Glockenkurve. Das bedeutet: in jedem Team, in jeder Gruppe gibt es nur einen kleinen Teil an Menschen (ca. 1 % bis max. 5 %), die im negativen Sinne aus der Reihe tanzen und in unserem Beispiel nicht verantwortlich mitarbeiten würden. Hierarchische Führung ist aber genau auf diese Minderheit der „faulen Eier“ ausgerichtet und übersieht dabei die Opportunitätskosten, die dadurch entstehen, dass das Potenzial der Mehrheit der Mitarbeiter dadurch unerschlossen bleibt. Im schlimmsten Falle erzeugt diese Art der Führung sogar Unverantwortlichkeit bzw. Resignation bei den Willigen. Hierarchische Führung verhindert, dass die Organisation und die Menschen in der Organisation erwachsen werden.

Die erste Frage, die sich Unternehmen und Organisationen in dieser Zeit des schnellen Wandels stellen müssen, lautet: sind wir wirklich bereit radikal umzudenken und einen Paradigmenwechsel vorzunehmen? Sind wir bereit, Vertrauen in völlig neue Wege, neue Möglichkeiten – jenseits von Controlling und Hierarchie – und vor allem auch Vertrauen in die Menschen zu haben, die Teil der Organisation sind? Wenn Ihre Antwort JA ist, dann kann für Sie und Ihre Organisation eine interessante Zeit des Forschens beginnen.

„Kontrolle ist gut – Vertrauen ist besser.“ Viel Freude beim Experimentieren!

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