Komm, lass uns spielen!
Spielen als Schlüsselfaktor für Zukunftsfähigkeit
Wenn wir kleine Kinder oder auch bestimmte Jungtiere wie Katzen oder Hunde beobachten, können wir sehr schnell erkennen, dass das freie Spielen eine Art ist, wie höher entwickelte Lebewesen ohne Druck die Welt für sich entdecken und entscheidende Interaktionen mit der Umwelt erlernen. Selbst die hundertste Wiederholung derselben Aktion macht während des freien Spielens keine Mühe, sondern dient der Verfeinerung der Fähigkeiten.
Gerald Hüther sagt in seinem Weimarer Vortrag vom 8. März 2015 über das Spielen: „Es ermöglicht schon den Tieren und erst recht uns Menschen das Ausprobieren all dessen, was dem betreffenden Tier- oder Menschenkind möglich ist.“ Spielen setzt auf einfache Art unsere Potenziale frei. Aber nicht nur für die eigene Entwicklung ist das Spielen ein nützlicher Akt, sondern auch für die Entwicklung der Welt an sich, also die Evolution.
Bahnbrechende Erfindungen und Innovationen werden in der Regel durch freies, nicht reglementiertes Spielen gemacht – entweder in Form von Experimentieren und Ausprobieren oder auch nur in Form von Gedankenspielen.
Obwohl also das Spielen und Experimentieren für die eigene Entwicklung, aber auch für die Evolution eine entscheidende Bedeutung hat und uns sozusagen als menschliches Grundhandwerkszeug mitgegeben wurde, hat es in unserer modernen Kultur und Zivilisation offenbar dennoch an Bedeutung verloren. Dies könnte passiert sein durch die Verknüpfung des Spielens mit zwei Grundannahmen:
- Spielen ist nutzloser Zeitvertreib, der hauptsächlich für Kinder bestimmt ist
- Beim Spielen geht es um Gewinnen und Verlieren
Wenn du mal in dich hineinhörst, wirst du diese zwei Grundannahmen irgendwo in deinem System entdecken. Das Problem dabei ist, dass uns diese zwei Grundannahmen zu einem bestimmten, im gewöhnlichen Kontext gewünschten Verhalten verführen, welches der eigenen Entwicklung und der Evolution im Wege steht: wir hören irgendwann auf, frei zu spielen und wenn wir als Erwachsene spielen, spielen wir, um zu gewinnen. Dies schränkt die Kraft und die Möglichkeiten, die uns ursprünglich durch das Spielen zur Verfügung stehen, enorm ein. Es ist als ob wir ein Hochleistungs-Werkzeug an unserem Werkzeuggürtel hätten und es nicht benutzen, weil wir glauben, es sei ein „nutzloses Spielzeug“.
Dabei ist das Spielen eine natürliche, uns innewohnende Fähigkeit, die der Entwicklung und Evolution dient und die wir auch als Erwachsene nutzen können.
Wann genau hören wir auf zu spielen?
Das Ende des freien Spiels beginnt mit unserer Einschulung. Ab diesem Zeitpunkt wird unsere Lebenszeit in Arbeit-/Schulzeit und Freizeit aufgeteilt. Das Spielen, das eigentlich eine Form des Lernens darstellt, wird degradiert zu einer unnützen Freizeitaktivität, die gerade noch der Entspannung dient und die man sich als Kind noch leisten darf. Sobald aber der „Ernst des Lebens“ beginnt – hat das Spielen ausgedient. Spielen ist zu chaotisch und nicht-linear, das Ergebnis zu wenig berechenbar und wird daher durch unsere logisch-rationale, industrielle Welt als nicht effizient genug abgestempelt und durch standardisiertes und reglementiertes Lernen ersetzt. Das Leben ist schließlich kein Spiel und wir müssen entsprechend früh darauf vorbereitet werden.
In der Vergangenheit mag dies noch einigermaßen funktioniert haben. Doch in einer Welt, in der sich die Geschwindigkeit der Veränderung exponentiell entwickelt, könnte dieses reglementierte, standardisierte Lernen den Untergang der menschlichen Spezies bedeuten, da sie dazu führt, dass wir uns zu langsam entwickeln.
Ich gewinne – du verlierst
Durch die Degradierung des Spielens wird dieser uns natürlicherweise innewohnende Trieb in das Unbewusste verlagert. Das heißt wir leben unseren Spieltrieb weiter aus, sind uns dessen aber nicht bewusst. So wird das Spielen ein gefundenes Fressen für den Schattenanteil in uns – den Gremlin. Wir fangen an, Spiel’chen zu spielen und zwar nach dem Muster: „Ich gewinne – du verlierst.“ Diese Spielart versucht dem Spielen insofern noch einen persönlichen Nutzen abzugewinnen, dass sie die Möglichkeit eröffnet, das Spiel zu gewinnen, während andere verlieren. Dieser Nutzen liegt einerseits in Genugtuung und Ehre, kann sich aber auch ganz konkret im Gewinnen von Ressourcen, wie Geld, Macht, Status, Recht haben, etc. zeigen. So mutiert das Spielen, das ursprünglich dem Lernen, der Entwicklung und der Evolution dient, zum Wettkampf um persönliche Vorteile. Es gibt Gewinner und Verlierer. Und wenn du mal bewusst hinschaust, wirst du feststellen, dass diese Art von Spiel das beliebteste unbewusste Spiel auf der Welt ist – einzelne spielen es, Unternehmen spielen es, Nationen spielen es. Unser komplettes Wirtschaftssystem basiert auf diesem Spiel!
Doch leider bleibt die Entwicklung und Evolution bei dieser Art des Spiels meist auf der Strecke bzw. ist sie nicht die Haupt-Intention. Es führt stattdessen dazu, dass wir uns gegenseitig und unseren Planeten ausbeuten und Kriege führen – im Großen wie im Kleinen.
Spielen – alte und neue Sichtweise
Es ist Zeit, dass wir das Spielen wieder salonfähig machen, es aus dem Unterbewussten zurückholen und in unser Leben – auch als Erwachsener – integrieren. Hier eine Gegenüberstellung der traditionellen Sichtweise auf das Spielen und einer möglichen neuen Sichtweise auf das Spielen:
Bedeutung von Spiel – konventionelle Sichtweise | Bedeutung von Spiel – alternative Sichtweise |
Ist nicht ernst – Spielerei | Ist Hingabe |
Das Leben ist kein Spiel | Macht fit für’s Leben |
Es gibt Spielregeln – findet im vorgegebenen Rahmen statt | Bahnbrechende Entwicklungen finden beim nicht reglementierten Spielen statt |
Mit Spielen kommst du nicht weit | Spielen macht den Meister |
Ist was für Kinder | Ist was für jeden – wir hören nicht auf zu lernen |
Darf man nur in der Freizeit | Ist in allen Lebenslagen nützlich |
Ist nicht professionell – hat im Arbeitsleben nichts verloren | Evolution, Innovation, Erfindungen entstehen aus dem Spielen |
Dient der Entspannung und dem Zeitvertreib | Lässt uns erfahren, was funktioniert und was nicht funktioniert |
Es geht um’s Gewinnen | Spielen ist eine nicht lineare Art des Lernens |
Es gibt nur einen oder wenige Gewinner | Ist ein Gewinn für alle, da es der Evolution dient |
Hängt vom Glück ab | Hängt vom Tun ab |
Wenn du nicht schummelst, bist du dumm | Schummeln macht keinen Sinn |
Konkurrenz, Wettkampf | Team, Zusammenarbeit, Co-Kreieren |
Basiert auf Mangel in Bezug auf die Ressourcen, die gewonnen oder verloren werden können | Basiert auf Fülle, erzeugt Fülle |
Ich gewinne – du verlierst (da nicht genug für alle da ist) | Gewinnen geschieht – das Spielen an sich ist ein Gewinn |
Bewusstes Spielen statt unbewusst Spiel’chen zu spielen
Dies würde allerdings bedeuten, dass wir das freie Spielen von Anfang an wieder als nützliches Lernwerkzeug betrachten. Wie würde die Schule der Zukunft aussehen, die auf dieses Prinzip vertraut? Vielleicht würden Lehrer dann zu Raumhaltern für bewusstes freies Spielen ihrer Schüler werden? Und was könnten Kinder dann alles lernen, anstatt bloßes Wissen in ihren Köpfen zu speichern?
Und es würde bedeuten, dass wir auch als Erwachsene nicht aufhören, das Spielen als bewusste Entwicklungsmöglichkeit zu benutzen. Auch im Arbeitsleben, also auch in Unternehmen. Wenn wir im Arbeitsleben nicht spielen, halten wir einen Großteil unseres in uns schlummernden Potenzials zurück. Immer wenn wir also etwas verändern oder uns entwickeln wollen, würden wir einfach ein paar Leute einladen (oder ein Meeting einberufen) und gemeinsam auf Entdeckungsreise gehen, Optionen durchspielen und neue Vorgehensweisen erfinden.
Wenn du z.B. die Beziehung zu einem Geschäftspartner verbessern wolltest, könntest du in deinem Spielteam ein Rollenspiel durchführen. Einer übernimmt die Rolle des Geschäfts-Partners, Di fängst ein Gespräch mit ihm an und die übrigen Teammitglieder geben dir Feedback und Coaching darüber, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wenn du mehr Kunden generieren wolltest, würdest du gemeinsam mit deinem Spielteam vielleicht ein paar typische Situationen durchspielen – auf der Messe, bei einem Netzwerktreffen oder einem Kongress – und damit experimentieren, fremde Menschen anzusprechen und ihnen von den Produkten und Dienstleistungen deines Unternehmens zu erzählen. Du würdest recht schnell herausfinden, was funktioniert und was nicht funktioniert.
Ein bewusst gehaltener Spiel-Raum gibt uns die Möglichkeit, zahlreiche Optionen auszuprobieren, ohne negative Konsequenzen. Fehler machen ist dabei erlaubt – ja sogar erwünscht. Es ist ein gemeinsames Co-Kreieren, bei dem sich alle in den Dienst des Einzelnen und der Evolution stellen. Und es macht gleichzeitig Spaß, gemeinsam spielerisch zu kreieren. Bei dieser Art des bewussten Spiels macht es auch überhaupt keinen Sinn, zu schummeln – denn es gibt keine Gewinner oder Verlierer. Dieses Spiel heißt GEWINNEN GESCHIEHT!
Viel Spaß beim Spielen!